Synoptische Übersicht für den Alpenraum bis Montag abend

Diskussionen rund um Kurz- & Mittelfristprognosen und Wetterentwicklungen
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Exilfranke1

Samstag 3. Juli 2010, 11:12

Großwetterlage:

Aktuell...mäandrieren die Rossby-Wellen auf der Nordhalbkugel mit zwei quasi-stationären Langwellentrögen über Kamtschatka und dem Nordatlantik. Die Wellenzahl beträgt 4, wodurch das Wellenmuster progressiv ist. Infolge der Jetaufspaltung vor Westeuropa - eine Konstellation, die seit Dezember 2009 prägend für die Zirkulation im euroatlantischen Raum ist - , die mit einem nördlichen dominanten Ast der Frontalzone von Großbritannien bis Skandinavien und einem südlichen Ast über Nordafrika einhergeht, wird Mitteleuropa von einer recht stabilen "Hoch-über.Tief"-Lage beherrscht.

Kurzfristige Entwicklung bis Montag abend...

Der Alpenraum befindet sich zu Beginn des Vorhersagezeitraums noch an der Vorderseite des verlängerten Höhenrückens, der von Südfrankreich bis zum Finnischen Meerbusen reicht. Für die weitere Entwicklung entscheidend sind drei Systeme: ein ausgeprägter Cut-off über Osteuropa, der sich bis Montag abend von Westrussland nach Rumänien verlagert und die Hoch-über-Tief-Lage in den Nordosten Europas verschiebt, der cut-off des aktuellen verlängerten Kurzwellentrogs vor der Küste Portugals, der sich zur Küste Marokkos schiebt und dadurch die Zonalisierung der recht straffen Höhenströmung auf dem Nordatlantik mit Ausdehnung bis Benelux und Nordwestdeutschland ermöglicht, sowie der nördliche Teil des zuletzt genannten cut-offs, der am Sonntag als schwache, zunehmend diffluente Trogachse über Deutschland und die Westalpen hinwegzieht.

Modellunterschiede: das nach EZMWF 00z beschriebene Szenario findet sich auch bei GFS, wobei in beiden Modellen zum Montag abend hin die Unsicherheit mit der Annäherung eines markanten Kurzwellentrogs von den Britischen Inseln her zunimmt. Marginale Unterschiede ergeben sich weiters in der Zugbahn der diffluenten Trogachse bzw. des kleinskaligen Kurzwellentrogs, der sich daraus abspaltend zum Ligurischen Meer verlagert, hier gehen UKMO, GFS, EZMWF, GEM, GME geringfügig auseinander.

Im Einzelnen:

SAMSTAG...liegt der Alpenraum in bodennah gradientschwacher Lage, wobei sich im östlichen Teil der Alpen ab den Abendstunden der Einfluss des Osteuropa-Höhentiefs durch einen vor allem in den Hochlagen stark auffrischenden Nordwestwind bemerkbar macht. Im Westalpenraum schwächt sich der Keileinfluss bereits ab, sodass die vorhandene potentielle Instabilität (700hPa: 52°C, 850 hPa: 64°C Thetae) im Tagesverlauf durch Sonneneinstrahlung und alpines Pumpen freigesetzt wird. Die CAPE-Werte bewegen sich zwischen 1000 J/Kg bei EZMWF (gemittelt aus untersten 350 hPa) und rund 1500 J/kg bei GFS (gemittelt aus untersten 180 hPa). Gemäß EZ 00z entwickeln sich Gewitter vor allem entlang der Westalpen bis Schweizer Jura, wobei die Signale hier Starkniederschlagsereignisse hindeuten. Nach Osten zu sind die Signale südlich des Hauptkamms verstreut und schwächer zu finden, sodass im Ostalpenraum nur einzelne Wärmegewitter erwartet werden, bevorzugt zwischen Tiroler Hauptkamm, Grazer Hügelland bis Wechsel. Die geringe Nordanströmung wirkt durch Isentropenaufspreizung im Lee zusätzlich hebungsunterstützend. GFS 00z zeigt ein ähnliches Bild, wobei es Schwerpunkte in Südtirol und von Unterkärnten bis zur Oststeiermark gibt - in etwa die Gebiete, wo es bereits am Vortag zu Gewittern gekommen ist und die Grenzschichten angefeuchtet wurden. WRF 00z (Janek) zeigt in den Westalpen einzelne, diskrete Gewitterereignisse mit bis zu 40mm in 3h, was aufgrund der hohen Labilität bei schwachen Oberwinden plausibel erscheint, wenngleich die simulierten Orte nicht zwangsläufig exakt sein müssen (WRF neigt zu punktgenauer, aber auch zu örtlich verschobenener Konvektion - wann eines von beiden vorliegt, ist als Vorhersager noch schwer festzustellen). In Ostösterreich dehnt WRF 00z die geringen konvektiven Niederschläge bis zum Schneeberg, sowie vom Mühl- bis Weinviertel aus - hier sind insbesondere die Signale über dem westl. Mühl/Waldviertel zu beachten, die gestern bereits exakt gepasst haben.

In der Nacht zu SONNTAG...fallen die Gewitter in sich zusammen und die Nacht verläuft östlich und südlich Tirols weitgehend klar, zeitweise ziehen lockere mittelhohe Wolkenfelder (Ac) durch, örtlich kann sich durch vorhergehenden Schauer/Gewitterniederschlag Bodennebel ausbilden. In den Westalpen bis Tiroler Oberland ziehen schon in der ersten Nachthälfte dichtere Quellwolken auf, die im Vorfeld der aus Westen nahenden Kaltfront entstehen. Hier zeigen sich erste Modellunsicherheiten, was die Dichte und Ergiebigkeit dieser Bewölkung betrifft. WRF 00z beschränkt die Konvektion auf die Schweiz, während EZ bis Sonnenaufgang bereits vom Schweizer Jura bis Salzburger Land teils messbaren Niederschlag produziert - dies bei CAPE-Werten bis 500 J/kg (entkoppelte Konvektion). GFS 00z belässt die Niederschläge ebenfalls in der Schweiz, UKMO 00z tendiert in abgeschwächer Form zu EZ 00z mit weiter östlich ausgreifenden Niederschlägen.

SONNTAG...untertags Ausweitung der Niederschläge auf den gesamten Alpenraum, wobei die Schwerpunkte vom Bodensee bis Linzer Becken, sowie von den Dolomiten bis Karawanken reichen. Niederschlagssignale von 5-10mm in 3h, wie sie wiederholt seit einigen Tagen bei EZ simuliert werden, weisen auf ein signifikantes Ereignis hin. UKMO ähnelt EZ stark, auch in der Wahl der Schwerpunkte, GFS legt den Schwerpunkt in die Schweiz, WRF rechnet eine Zweiteilung mit starker Konvektion in der Ostschweiz sowie von den Karnischen Alpen bis Mühlviertel und niederschlagsarmer Zone vom Allgäu bis Dolomiten. Der Gehalt an niederschlagbaren Wasser (PWAT) steigt nördlich des Hauptkamms auf bis zu 40mm, sonst 25-30mm, wobei die Gebiete östlich Tirols durch die Annäherung des Osteuropatiefs verstärkte Höhenwinde und somit organisiertere Gewitterbildung erfahren. In allen Modellen wird durch dieses Tief und die verstärkte Nordwestströmung das Einfließen äquipotentiell kälterer und vor allem trockenerer Luftmassen gerechnet, sodass das östliche (österr.) Flachland am Sonntag weitgehend stabilisiert wird.

MONTAG... zeigen die Modelle eine Drei-Teilung des Alpenraums. In die Westalpen fließt trockenere Luft ein, zusätzlich wird die Höhenströmung divergent, sodass sich das Absinken wieder verstärkt. Vom Waldviertel über das Wiener Becken bis zur Oststeiermark sind ebenfalls trockenere Luftmassen eingeströmt, gleichzeitig ziehen aus dem Osteuropatief hier teils dichtere mittelhohe Wolkenfelder durch, die die Einstrahlung behindern, schließlich gelangt die Region mit Abzug des Osteuropatiefs nach Süden auf die Keilvorderseite. Dazwischen...etwa vom Tiroler Oberland bis Salzkammergut sowie bis zu den Dolomiten und Kärnten befindet sich immer noch das "Dreieck" mit potentiell instabil geschichteten Luftmassen, aus denen tageszeitunabhängig (also auch in der Nacht zu Montag), wenngleich tageszeitlich verstärkt, Gewitter entstehen, die mit Starkregen einhergehen. GFS,UKMO und WRF unterstützen diese Version, marginale Unterschiede sind in der Ausdehnung des "Dreiecks" auffindbar.

Von den Temperaturen her wird heute, SAMSTAG, der Höhepunkt der Hitzewelle erreicht. In 700 hPa sind nach EZ und WRF bis zu 8°C zu erwarten, am Sonntag und Montag noch 4-6°C. Die 850er gehen von heute maximal 22°C bis auf rund 12°C am Montag zurück (damit wird es Montag auch langsam stabiler, da die tieferen Schichten stärker abkühlen).

TREND...

bei den führenden Mittelfristmodellen EZMWF und GFS kündigt sich zur Wochenmitte eine zweite Hitzewelle an, wobei sich die Südwestströmung in der Höhe verstärkt (leicht föhnig zum kommenden Wochenende) und sowohl präfrontal (Kaltfront) als auch durch die diffluente Höhenströmung das Potential für organisierte Gewitter zulegt.

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Verwendete Fachbegriffe:

mäandrieren
Rossby-Wellen
Langwellentrögen
"Hoch-über.Tief"-Lage
Cut-off
Kurzwellentrog
Zonalisierung
diffluente Trogachse
potentielle Instabilität
alpines Pumpen
Isentropenaufspreizung
entkoppelte Konvektion
Höhenströmung divergent

Erklärung falls gewünscht.
Zuletzt geändert von Exilfranke1 am Samstag 3. Juli 2010, 14:42, insgesamt 1-mal geändert.
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Matthias
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Samstag 3. Juli 2010, 11:34

Danke für deine ausführliche Analyse Felix!

...trotzdem dürfte es noch einige Unsicherheiten geben, die nur in der Kurzfrist zu analysieren sind.
Somit tw. wieder Nowcasting-Gschichten...
lg,
Matthias

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Samstag 3. Juli 2010, 11:56

Herzlichen Dank, Felix für diese ausführliche Analyse.
liebe Grüße
Gerhard

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Messdaten:Balkon (West abgeschattet)
utti99

Samstag 3. Juli 2010, 12:05

Hallo Felix
Super Bericht,hast dir viel Mühe gegeben. *bravo*
lg Wolf
nadjap
Beiträge: 15192
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Wohnort: Klosterneuburg-Scheiblingstein, Wienerwald, 489m

Samstag 3. Juli 2010, 13:20

Danke, auch wenns für mich wieder mal nicht erfreulich ist (im Umkreis von 100 km von mir weit und breit keine Gewitter in Sicht lt. deiner Arbeit).
Klosterneuburg-Scheiblingstein, 487 m (gemessen mit NÖGIS), Wienerwald, Bezirk Wien Umgebung


http://www.fotografie.at/galerie/nadjap
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hexenkraut

Samstag 3. Juli 2010, 13:45

Hut ab und Danke für die ausführlilche und verständliche Analyse *top*
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Franz
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Samstag 3. Juli 2010, 19:20

Vielen Dank Felix! *super*

Bin gespannt was uns morgen erwartet...
lg Franz
Wetterstation Hintersee (771 m, Salzburg, südl. Flachgau) | in der schönen Osterhorngruppe
www.wetter-hintersee.at
Hannes
Beiträge: 9616
Registriert: Sonntag 19. April 2009, 21:30
Wohnort: Kötschach-Mauthen 705m ü. Adria Bezirk Hermagor,Oberes Gailtal

Samstag 3. Juli 2010, 19:38

Doungschei Felix
lg Hannes
------------------------------------------------------
Wetterstation: Vantage Pro 2 Aktiv, Hellmann 200cm² Webcam Mobotix
Standort [ x ] Kötschach-Mauthen 705m.ü.Adria / Bezirk Hermagor/Oberes Gailtal
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stefan
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Skype: qumander
Wohnort: Annaberg-Lungötz
Kontaktdaten:

Samstag 3. Juli 2010, 22:17

Ja, danke Felix!
Bin auch schon gespannt, was morgen kommt. Etwas Regen ist schon notwendig für den neu angelegten Rasen.
LG Stefan
Annaberg-Lungötz, Tennengau, Salzburg, 896m
Wetterdaten + Webcam: http://www.wetter-hausruckviertel.at/lu ... rsicht.htm
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