29.06.09 - möglicher Tornado Wildungsmauer, östl. NÖ

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Mortimer
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Dienstag 30. Juni 2009, 08:41

Gestern um 17:21h MESZ konnte ich von meinem Standort in Niederösterreich (Sportschule Spitzerberg) unter dem (vermutlich sekundären) Aufwindfeld einer kräftigen Gewitterzelle einen möglichen, kurzlebigen (ca. 20sek) Tornado mit Bodenkontakt beobachten.

Ich schätze die Entfernung zu meinem Standort auf etwas über 5 Kilometer, d.h. der potenzielle Touchdown müsste irgendwo zwischen Petronell Carnuntum und Wildungsmauer - wahrscheinlich im Bereich von Acker/Feldkulturen - stattgefunden haben.

Eine Gewitterzelle aus der Slowakei kommend beging "Selbstmord" (bei der schwachen Höhenströmung auch nicht anders zu erwarten), indem der kräftige Outflow (Böen an meinem Standort etwa 50km/h) deutlich schneller nach Westen voranschritt, als die Zelle selbst. Dieser Outflow triggerte nun einige Kilometer westlich meines Standortes besagte Zelle, die sich rasch verstärkte, eine recht hohe Blitzintensität (alle paar Sekunden) aufwies und sich etwas später mit der kräftigen, Nord-Süd ausgerichteten Gewitterlinie, die sich vom Weinviertel bis ins Nordburgenland (als südlichste Zelle) erstreckte, verband.

In dem Bereich, wo der Outflow der Slowakei-Zelle und der Outflow der Neubildung weiter westlich aufeinander stießen (so meine Interpretation) bildete sich ein sekundäres Aufwindfeld (kräftige Konvektion darüber) aus, welches somit direkt an einer kräftigen Konvergenz zu liegen kam.

Das erste Bild - eigentlich ganz zufällig fiel mir folgende Absenkung Richtung Westen auf:

Bild

Bei näherer Betrachtung bemerkte ich eine scheinbare, langsame Rotation entgegen dem Uhrzeigersinn, was auf einer kurzlebige rotierende Wallcloud hindeuten könnte. Dann geschah das:

Bild

direkt klassisch setzte unterhalb der Absenkung (an nur einer einzigen Stelle) Wolkenkondensation ein, die sich rasch in Richtung Erdboden verlagert und für ca. 20 Sekunden direkt vom Erdboden auszugehen schien. Dabei gab es eine deutlich sichtbare und starke Aufwärtsbewegung (geschätzt 20-30m/sek) und - jetzt der Knackpunkt - VERMUTLICH (zyklonale) Rotation; aufgrund der Entfernung und meinem Kampf mit der Kamera bin ich mir dabei allerdings nicht ganz sicher - deshalb auch der Zusatz "vermutlich". Denkbar wäre also auch nur ein kräftiges, geradliniges Aufwindfeld unterhalb der abgesenkten Basis, wobei die hohe Grundfeuchte die Kondensation im Bodenniveau ermöglicht hätte - dafür spräche auch die unsichere Verbindung Trichterwolke/Basis; andererseits waren Position, Ausprägung und Entwicklung beinahe schon "klassisch", weshalb ich den Fall mit momentanem Stand als "wahrscheinlich" (ca. 80-90%) einstufen würde. Nach Rücksprache mit Alois Holzer ist der Fall sollte der Fall jedoch nur als Verdachtsfall gehandelt werden, weshalb ich den Titel entsprechend adaptiert habe.

Bild

Das Ganze kontrastverstärkt und als Ausschnitt:

Bild

Bild

Wenige Sekunden später - die Struktur geht wieder verloren:

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Zu diesem Zeitpunkt wollte ich noch rasch ein Video mit der Digicam drehen - leider musste ich starken Zoom einsetzen, deshalb ist das Video ziemlich verwackelt, unscharf und auch der Trichter - bzw. die Bewegung - ist darauf eigentlich nicht mehr zu erkennen, deshalb ist das Video kaum zu gebrauchen.

Danach schien sich der Outflow unter das Aufwindfeld zu schieben, die Dynamik riss ab und es war auch keine Rotation mehr zu erkennen.

Neue Basis weiter im Süden, einige Minuten später (rechts im Bild über den Bäumen ist noch der Rest der vorherigen Absenkunge zu erkennen):

Bild

Bild

Hübsche Strukturen, aber keine Rotation oder verdächtige Absenkung mehr:

Bild

Bild

Danach verlor die Zelle an Kraft, neue Aufwindfelder formierten sich einige Kilometer weiter südwestlich (bei Eisenstadt) und an meinem Standort gab es überhaupt nur ein paar Tropfen Regen ...

Fazit: Verdächtiger, potenzieller Fall mit einigen Unsicherheiten, wobei aus meiner Sicht ein Tornado zwar wahrscheinlich erscheint, eine gewisse Restunsicherheit aber bestehen bleibt.

liebe Grüße

Zusatz: Eine Schadenssuche halte ich übrigens - ohne Meldungen über Schäden oder weitere Augenzeugen - für ziemlich aussichtslos; einerseits ist das Gebiet zu groß, dann war der Tornado (sofern es einer war) wohl nur sehr schwach und andererseits ist das Gebiet des vermuteten Touch-Downs nur Ackerland, die Getreideähren sind fast überall niedergedrückt und drauf geregnet hat es auch noch ...
Zuletzt geändert von Mortimer am Mittwoch 1. Juli 2009, 10:30, insgesamt 3-mal geändert.
Mortimer M. Müller
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Daniel Loretto
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Dienstag 30. Juni 2009, 09:00

Danke für den Bericht, jedenfalls eine sehr interessante Beobachtung!
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Liebe Grüße von Daniel aus Rabnitz bei Kumberg


https://stationsweb.awekas.at/index.php?id=34902
nadjap
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Dienstag 30. Juni 2009, 09:05

Stark!! Toller Bericht!

Gestern hats ja möglicherweise öfters "geschlaucht" ;)
Klosterneuburg-Scheiblingstein, 487 m (gemessen mit NÖGIS), Wienerwald, Bezirk Wien Umgebung


http://www.fotografie.at/galerie/nadjap
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meister_k
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Dienstag 30. Juni 2009, 09:08

oho.... wow... danke für bericht und fotos
lg
Wolfgang
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Wetterwerte Naarn, Werte nicht normiert

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Werner
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Dienstag 30. Juni 2009, 09:13

Danke für diesen tollen Bericht!

Liebe Grüße!
Werner
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Hannes
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Dienstag 30. Juni 2009, 10:28

heuer gibts wirklich viele ereignisse wo man sagen kann es hat geschlaucht

klasse deine bilddoku morti :)
lg Hannes
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Herfried
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Dienstag 30. Juni 2009, 12:16

Schon ziemluich verdächtig,und noch nicht mal der klassiche Böenfronttornado sodnerne her aus einer minimalen Meso raus... Sehr organisiert udn stark sieht das Ding aber nicht aus, ein etwas herzhafterer versuch halt...

Wär interessant ob es da wo sichtbare Sturmschäden gibt...
Schöne Grüße aus Mühldorf bei und 100 m über Feldbach, Herfried Spät-Schneefrosch 2011 und 2020 ex aequo, früh 2021, Eisfrosch 2020
Exilfranke1

Dienstag 30. Juni 2009, 12:24

Ich find den Begriff Böenfronttornado irreführend, weil er einerseits an gustnado erinnert, und andererseits nicht der typische Typ-II-Tornado ist,also entlang einer Konvergenzlinie entsteht. Konvergenzlinie ist aber nicht dasselbe wie Böenfront, im Gegenteil. Böenfronten sind ja Abwinde, während Typ-II-Tornados meist im Anfangsstadium von Schauern/Gewittern entstehen, wenn der Aufwindbereich über die Konvergenzlinie mit erhöhter vertikaler vorticity zieht und durch vortex stretching der Tornado entsteht.

siehe z.b. http://estofex.org/guide/2_3_2.html" onclick="window.open(this.href);return false;

Was die Bilder betrifft - ist nicht so eindeutig, tiefreichende Kondensation gibt es auch oft bei nicht rotierenden fractus. dass er an der niedrigsten stelle der wolkenbasis entsteht, wo die meiste feuchte vorhanden ist, ist ja auch nicht ungewöhnlich. solange man keine schäden findet, für mich nur ein verdachtsfall, nicht gesichert.
Mortimer
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Dienstag 30. Juni 2009, 14:41

@Felix - ja, ich stimme dir zu, als "gesichert" kann dieses Ereignis nicht betrachtet werden ... das nächste Mal werde ich zuerst das Video drehen und dann Fotos machen ;)
Mortimer M. Müller
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Mathias
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Dienstag 30. Juni 2009, 17:28

hehe, tolle Fotos *top*
gratuliere zu der "Beute" *bravo*
Liebe Grüße aus
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Mortimer
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Mittwoch 1. Juli 2009, 10:35

Ergänzung: Nach Rücksprache mit Alois Holzer vom ESWD werden wir diesen Fall nur als "Verdachtsfall" (d.h. möglich und nicht wahrscheinlich) einstufen, da ich ja auch die Rotation in Bodennähe nicht mit Sicherheit bestätigen kann. Aus diesem Grund auch bitte keinen Eintrag in die ESW-Datenbank vornehmen.

lg
Mortimer M. Müller
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Daniel

Mittwoch 1. Juli 2009, 10:39

Tolle Bilder sind es jedenfalls

ob es "nur" ein verdachtsfall war oder nicht...
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Herfried
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Mittwoch 1. Juli 2009, 15:01

Gehört der nicht als Verdachtsfall auch rein? Und man könnte auch die Meinung von Thilo etc. einholen.... Gabs eigentlich rigendwelche Schädenb, die den Verdacht erhärten könnten?

PS.: Gesichert würde ich da auch nciht sagen, wahrscheinlich aber schon
Schöne Grüße aus Mühldorf bei und 100 m über Feldbach, Herfried Spät-Schneefrosch 2011 und 2020 ex aequo, früh 2021, Eisfrosch 2020
David84

Freitag 3. Juli 2009, 19:21

danke. sehr schöne bilder
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